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Titel
Emmental. Eine Landschaft erzählt Geschichte


Autor(en)
Glanzmann, Jonas
Erschienen
Langnau 2018: Landverlag
Anzahl Seiten
492 S.
von
Armand Baeriswyl, Abteilung Mittelalter und Neuzeit, Archäologischer Dienst des Kantons Bern

Mit Jonas Glanzmann unternimmt endlich wieder einmal jemand den Versuch, die ältere Geschichte des Emmentals zu präsentieren. Er gestaltet diesen als faszinierenden Spaziergang durch die Jahrtausende, der durch die Landschaft und den Naturraum und von der Archäologie über die historischen Quellen und die Architekturgeschichte bis zur Ortsnamensforschung führt.

Das Werk besteht inhaltlich aus zwei grossen Teilen. Im ersten Teil nimmt der Autor eine historisch-topografische Synthese vor. Während das obere Emmental in der Geschichtsschreibung bislang als ein erst im späteren Frühmittelalter besiedeltes Gebiet galt, vermutet der Autor bereits urgeschichtliche Siedlungstätigkeit oder zumindest intensive Begehung. Für die Römerzeit nimmt er die Nutzung der Emmentaler Wälder für die Holzversorgung der Siedlungen im Mittelland und Aaretal an. Auch für das Frühmittelalter stellt Glanzmann anregende Hypothesen auf. Ein eigenes Kapitel widmet er den Anfängen Langnaus, die er bereits um 800 ansetzt. Er stützt sich dabei wesentlich auf die pollenanalytische Untersuchung eines Bohrkerns vom Viehmarktplatz. Ein archäologisch belegter Fixpunkt ist die Martinskirche mit einem Vorgängerbau des 11. / 12. Jahrhunderts, dessen Anfänge aber weiter zurückreichen könnten. Neu und bemerkenswert ist Glanzmanns Fund einer Burgstelle unbekannten Alters auf dem Hübeli. Ausgehend davon postuliert er einen frühmittelalterlichen Herrschaftssitz mit Eigenkirche.

Weiter stellt der Autor die wichtigsten Adelsgeschlechter vor, wobei er wie alle Geschichtsforscher mit den grundsätzlichen Problemen mittelalterlicher Adelsforschung zu kämpfen hat: Wegen der archäologischen wie historischen Quellenarmut, mehr aber noch wegen der schwankenden Namensnennungen ist es für die meisten Geschlechter unmöglich, deren frühe Geschichte zuverlässig zu rekonstruieren.

Ein Kapitel ist der Sakrallandschaft gewidmet. Mangels archäologischer Ausgrabungen ist nur wenig Sicheres zu den Anfängen zu sagen. Beim heutigen Forschungsstand fehlen belastbare Indizien dafür, dass die wichtigen mittelalterlichen Pfarrkirchen der Region, diejenigen von Langnau, Signau, Lauperswil, Rüderswil und Trachselwald, deutlich vor 1000 entstanden sein könnten. Umfassende archäologische Untersuchungen gibt es nur für die Kirchen Lauperswil und Trub. Erstere entstand als gemauertes Gebäude um oder etwas vor 1000, letztere im Zusammenhang mit der Klostergründung kurz vor 1130.

Das Kapitel «Die Burg als Bauwerk» basiert vor allem auf Glanzmanns eigenen Feldforschungen. Er stellt fest, dass die meisten Burgen des Emmentals als Zentren von Rodungsherrschaften zu interpretieren sind, die während der Binnenkolonisation des Hochmittelalters entstanden. Die grosse Zahl der Burgstellen auf engem Raum spricht für einen Territorialisierungswettbewerb der beteiligten Adelsgeschlechter. Die meisten dieser Kleinherrschaften hatten nicht lange Bestand, es konnte sich aber auch kein Adelsgeschlecht durchsetzen, was es Bern im 13. und 14. Jahrhundert ermöglichte, im Emmental Fuss zu fassen. Glanzmanns Hypothese, dass die Burgstellen von Lauperswil, Rüderswil, Trachselwald und wie erwähnt Langnau als hochmittelalterliche Herrschaftszentren mit Eigenkirchen und Siedlungen interpretiert werden können, erscheint plausibel, wobei die Frage, ob sie ihren Anfang im Hoch- oder bereits im Frühmittelalter nahmen, beim aktuellen Forschungsstand nicht zu beantworten ist. Zu Recht weist Glanzmann darauf hin, dass die meisten dieser Bauwerke Holz-Erde-Anlagen waren, die nach ihrem Abgang nur diskrete Spuren in Form von Gräben, Wällen und künstlichen Plateaus im Gelände hinterliessen. Die gemauerten Adelsburgen im Emmental entstanden wie anderswo auch erst im 12. und vor allem im 13. Jahrhundert.

Der zweite Teil von Glanzmanns Werk beginnt mit einem Thema, zu dem er eigene wichtige neue Forschungsergebnisse präsentieren kann – bislang unbekannte Altwege, die der Autor durch systematische Begehung des Geländes aufgefunden und verfolgt hat. Er macht eine für das Hochmittelalter bestehende Nord-Süd-Verkehrsachse plausibel, die den Jurasüdfuss mit dem Oberland verband. Die Wege führten zum einen von Siedlung zu Siedlung, dienten aber nach Glanzmann auch als Teile einer überregionalen Transitstrecke. Das gilt ebenso für die wichtige West-Ost-Verbindung zwischen Bern und Luzern, die über Lützelflüh und Huttwil führte. Interessanterweise zeigt es sich übrigens, dass fast alle der heute stellenweise abgelegenen Burgstellen der Gegend an solchen Wegen liegen. Es zeichnet sich damit ein Siedlungs- und Verkehrswegnetz des Hochmittelalters ab, das sich vom neuzeitlichen und noch viel mehr vom heutigen stark unterscheidet.

In einem Kapitel werden die erforschten Burgstellen in Form von Einzelmonografien vorgestellt. Ausgehend von eigenen ausführlichen Beobachtungen am Bestand und im Gelände werden Herrschafts- und Baugeschichte dargestellt und die Anlage sowie ihre Einbettung in die Topografie rekonstruiert. Als wertvoll erweisen sich insbesondere die Grundrisspläne, in denen die Burgstelle in ihrem Gelände mit den erkennbaren beziehungsweise postulierten Elementen der Anlage mehrfarbig dargestellt sind. So ist auf den ersten Blick zu erkennen, auf welchen Bestand im Gelände – Gräben, Plateaus, Wege, Wälle und Mauerreste – sich seine Rekonstruktionen stützen.

Analog ist das Kapitel zu den Kirchen und Klöstern aufgebaut. Mangels archäologischer Forschungsergebnisse bleibt die postulierte frühe Datierung der Kirche Langnau eine Hypothese, denn die älteste erfasste, nicht vollständig freigelegte Anlage dürfte ins 11. oder 12. Jahrhundert datieren. Auch zu den Kirchen von Rüderswil, Signau und Trachselwald lässt sich nichts Abschliessendes sagen. Zwar belegen Beobachtungen im Rahmen von Sanierungen im 20. Jahrhundert bei allen drei Bauten Reste von Vorgängerkirchen, deren Datierungen aber nur grob als «hochmittelalterlich» bezeichnet werden können.

Das Werk schliesst mit einem Anhang, der eine Zeittafel, ein Glossar und ein Literaturverzeichnis enthält. Letzterem wäre wohl noch das Historische Lexikon der Schweiz beizufügen. Nicht Teil des Buchs, aber zusammen mit diesem entstanden und mit entsprechenden Verweisen versehen, ist ein 336 Seiten starker Wanderführer, der die im Text beschriebenen Fundstellen, Wege, Kirchen und Burgen zu attraktiven Routen verbindet und einem so die historischen Aspekte des Oberemmentals näherbringt.

Das Werk ist kein Fachbuch, sondern richtet sich an eine interessierte Öffentlichkeit. Allerdings ist es nicht einfach zu lesen. Es fehlt eine Einleitung mit einer Präsentation der Ziele, der Methoden und des Aufbaus. Ausserdem fühlt sich auch der geneigte Leser gelegentlich überfordert von der Fülle von Aussagen, die sich mehrfach wiederholen. Es fehlen Belege in Form von Verweisen, was die Nachvollziehbarkeit vieler Aussagen verunmöglicht. Auch Querverweise und ein Register hätten das Auffinden der verstreuten Daten und Fakten erleichtert. Man gewinnt den Eindruck, dass kein Lektorat stattgefunden hat. Trotz dieser Mängel ist das Buch ein Meilenstein für die weitere historische Beschäftigung mit dem mittelalterlichen Emmental. Die vielen neuen und bislang unbekannten Fakten werden ebenso wie die Überlegungen und Hypothesen zu weitergehenden Forschungen anregen.

Zitierweise:
Armand Baeriswyl: Rezension zu: Glanzmann, Jonas: Emmental. Eine Landschaft erzählt Geschichte. Langnau: Landverlag 2018. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 80 Nr. 1, 2019, S. 59-62.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 80 Nr. 1, 2019, S. 59-62.

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